T 4 – Tiergartenstraße 4

Ein Gedenkort – als Raumort, nicht Körperort.
Ein Garten – von einer Mauer umfriedet. indogerm. cart(o) „Schutz“
Eine Mauer – als Träger von Information. Und Trauer.

„In den Boden versinken“ bedeutet im Deutschen auch „sich zutiefst schämen.“

Ein Teil der historischen Grundstücksparzelle Tiergartenstraße 4 in Berlin ist im Boden versunken. Die moralische Scham über das hier Geschehene, die Initiierung und Koordinierung des Massenmordes sowie die Misshandlungen und Verstümmelungen von Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten im Deutschen Reich bewegen uns zu Reue und Veränderung, dazu, auf die Menschen, die geschädigt wurden, zuzugehen und um Entschuldigung zu bitten. Unsere Scham führt zu einem wahrnehmbaren „Eindruck“ in der Topographie der Stadt, und sie findet „Ausdruck“ in einer ausführlichen Dokumentation des Geschehenen.

Der Boden, der sich senkt, zeichnet die Umrisse des Gartens der ehemaligen Villa. Dieser versunkene Garten ist von starken Mauern umfriedet. Nach Norden und Westen, also dort wo sich Garten- und Grundstücksgrenzen decken, nur mit einer etwa 90 cm hohen Stützmauer als Geländeversprung, nach Süden und Osten dagegen, entlang der zwei innerhalb des Grundstücks liegenden Gartengrenzen, mit einer 2,20 m hohen Wand.
Die beiden Teile dieser hohen Wand, die einen Winkel bilden, erzählen uns von der Geschichte dieses authentischen Ortes. Sie sprechen auf verschiedene Weise zu uns. Die östliche Wand informiert und dokumentiert durch Wort, Bild und Gebärden: Eingelassen in 30 cm starke Sichtbetonfertigteile sind – leicht zurückversetzt – zwölf im Untereloxal-Verfahren bedruckte Aluminiumtafeln sowie Monitore und ein in eine Handlaufmulde integriertes Brailleschrift-Band. Auch drei Medienstationen mit Unterfahrungsmöglichkeit sowie Beleuchtungselemente sind in diese Wand eingebunden.

Die südliche Wand spricht durch ihre Form – ihre Faltung zeichnet die Konturen der ehemaligen Villa nach. Ihr vorgelagert ist ein 45 cm hohes abstrahiertes Abbild der historischen Terrasse mit Treppe zum Garten, das als Sitzstufenanlage oder gegebenenfalls auch als bühnenartiger Podest bei Veranstaltungen dienen kann. Beide Elemente, die gefaltete Wand und die Podestanlage, aber auch die Informationswand, die in ihrer pergolaartigen Perforation den ehemals Garten und Zufahrt trennenden Zaun interpretiert, lassen etwas vom historischen Ort aufscheinen, ohne diesen direkt zu imitieren. Die Villa hat keinen Zugang mehr zum Garten, und der Garten ist ein Hof (engl. yard), in dem nichts mehr wächst.

Der ehemals terrassierte Garten wandelt sich zu einer ebenen Fläche mit anthrazitfarbener wassergebundener Decke. Eine Rampe im Bereich der ehemaligen Zufahrt erschließt diesen platzartigen Raum. Er könnte nach dem 1885 geborenen Künstler, Architekten und Regierungsbaumeister Paul Goesch benannt werden, der wie auch der Architekt der Philharmonie Hans Scharoun ein Mitglied der von Bruno Taut ins Leben gerufenen Künstlergemeinschaft „Die Gläserne Kette“ war. Mitte der 10er Jahre erkrankte Goesch psychisch, wurde nach mehreren Anstaltsaufenthalten 1940 als „lebensunwert“ eingestuft und in Brandenburg ermordet.

Die übrigen Bodenflächen des Bearbeitungsbereiches werden mit Beton- Werksteinplatten entsprechend Bestand ergänzt und die Konturen der Villa mit einem Metallband gekennzeichnet. Deutlich ablesbar wird ihre Überschneidung mit dem Baukörper der Philharmonie und somit auch die Überlagerung der historischen Schichten an diesem komplexen Ort. Innerhalb der Umrisse folgt das Plattenraster der Ausrichtung der Villa. Die derzeit an der Straßenecke in die Werksteinplatten eingelassene Bronze-Gedenktafel ( … „Die Täter waren Wissenschaftler, Ärzte …“) kann so erneut innerhalb dieses Plattenbelages positioniert werden, und zwar vor der konturierten Wand innerhalb des früheren Herrenzimmers, einem Ort der Täter. Als Signal in den Stadtraum reckt sich ein knapp drei Meter hohes Sichtbeton-Zeichen „T4“ über dem ersten Element der Informationswand empor und bindet zugleich Begriff und Ort in das allgemeine Bewusstsein ein. Es markiert nicht nur den Eingang zum Gartenhof, sondern liegt auch direkt auf einer von Nordwesten kommenden Blick- und Wegachse durch den Tiergarten (Masterplan 2005), die das Zeichen gerahmt von Bäumen ins Visier nimmt. Ebenfalls von der Neuen Nationalgalerie oder dem Matthäikirchplatz im Süden kommend steht das Zeichen deutlich wahrnehmbar in einer Blickachse senkrecht zur Eingangsachse der Philharmonie und weist dem Besucher auch von dort unübersehbar den Weg.

Standort
Tiergartenstraße 4, Berlin-Mitte

Entwurfsverfasser/Architekt
Roland Poppensieker Architekt BDA

Entwurfsverfasser/Landschaftsarchitekt
Hahn Hertling von Hantelmann Landschaftsarchitekten BDLA, Hamburg

Entwurfsverfasser/Gestaltung
Christina Taphorn Design, Berlin

Nicht offener Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren