Erweiterung des Gedenk- und Erinnerungsortes Jamlitz – Lieberose

chai (חי)

Chai (ḥay), ein Wort, das im Hebräischen „Leben“ oder auch „lebendig“ bedeutet, ist gleichzeitig eines der bekanntesten visuellen Symbole der jüdischen Kultur. Es setzt sich, von rechts nach links gelesen, aus den hebräischen Buchstaben Chet (ח) und Yod (י) zusammen. Das Chai-Symbol wird von Juden häufig als Medaillon um den Hals getragen, ist jedoch genauso in Skulpturen, Gemälden oder Teppichen zu finden. Der jüdische Toast „l‘chaim“ bedeutet: „Auf das Leben“. Chai (ḥay) taucht ebenfalls in der Losung „‘am yisra‘el ḥay!“ („Das Volk von Israel lebt!“) auf. In einer Aufzeichnung der BBC vom 20. April 1945 ist Reverend Leslie Henry Hardman, der damals als erster jüdisch-britischer Armeekaplan das Konzentrationslager Bergen-Belsen betrat, den jüdischen Überlebenden Trost spendete und für die Toten betete, zu hören, wie er mit den Überlebenden nur fünf Tage nach ihrer Befreiung – und noch von Sterbenden umgeben – das Lied „Hatikvah“ („Hoffnung“), das später die israelische Nationalhymne werden sollte, sang. Am Ende des Lieds rief Hardman „Am Yisrael Chai!“ („Das Volk von Israel lebt!“).

Der Erweiterungsvorschlag chai möchte Jamlitz, einem im 20. Jh. durch Schrecken und Tod geprägten Ort, eine weithin sichtbare neue Schicht hinzufügen, eine Ebene des Lebens, eine Plattform des Gedenkens und Erinnerns. Diese Ebene möchte als Spur etwas von der jüdischen Kultur vermitteln, die an diesem Ort vernichtet werden sollte. Nicht jeder wird den Weg nach Jamlitz finden oder finden können, dieses der Brandenburgischen Landkarte einbeschriebene Symbol jüdischen Lebens wird jedoch auch per Satellit ein weltweites Zeichen des Erinnerns setzen.

Die Dimension des Lagers soll dabei in ihrer Ausdehnung deutlich werden: das Zeichen chet greift über den heutigen Kiefernweg, die ehemalige Mittelachse des Lagers, hinweg. Es verweist so gleichzeitig auf die ebenso markante Lage des zentralen Küchengebäudes im ehemaligen Lager. Während der Buchstabe chet als eine begehbare Plattform die beiden ehemaligen Lagerseiten verbindet und die vom Bahnhof oder vom (Bus-) Parkplatz kommenden Besucher schon auf der östlichen Seite des Kiefernweges in Empfang nimmt, um sie zum eigentlichen Veranstaltungsort hinüber zu leiten, ist der Buchstabe yod als „Ort der kleinen Steine“ eine Fläche, an der in Erinnerung an die Toten – im Sinne der jüdischen Tradition – mitgebrachte (weiße) Steine abgelegt werden können, sodass die bereits vorhandenen zu einem flachen Hügel anwachsen. Der über die Besucherplattform führende Weg leitet direkt auf die ehemaligen Schonungsblocks zu. Eine Stelle für Kranzniederlegungen befindet sich in der Blick- und Wegeachse zu diesem besonderen Ort.

Standort
Kiefernweg, Jamlitz

Entwurfsverfasser/Architekt
Roland Poppensieker Architekt BDA

Wettbewerbsverfahren mit fünf eingeladenen Teilnehmern